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laut.
Dann drehte er an der kleinen Kurbel, und die beiden Stäbe
verfärbten sich violett. Blitzschnell berührte er die beiden
Frauen damit; Maria hörte ein Klicken, aber der elektrische
Schlag war nicht mehr als ein leichtes Kitzeln.
Milan trat hinzu. »Ich muß Sie bitten, diesen Apparat hier
nicht zu benutzen.«
Der Araber steckte die Stäbe wieder in den Kasten. Die
Philippinin nutzte die Gelegenheit, um erneut zum Aufbruch zu
mahnen. Der Mann ging nur halbherzig darauf ein. Die Neue
wirkte sehr viel interessierter am Violetten Zauberstab als die
Frau, die ihn weglotsen wollte. Er schlüpfte in seine Jacke,
steckte den Kasten in eine Ledertasche und meinte: »Heute
werden sie wieder gebaut und sind in Insiderkreisen wieder sehr
in Mode gekommen. Aber so einen wie den, den ich Ihnen
gezeigt habe, findet man nur noch antiquarisch beziehungsweise
in einigen wenigen medizinischen Sammlungen oder Museen.«
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Milan und Maria standen da und wußten nicht, was sie sagen
sollten.
»Hast du so etwas schon einmal gesehen?«
»In der Art nicht. Er muß tatsächlich ein kleines Vermögen
gekostet haben, aber Nyahs Kunde ist schließlich auch Manager
aus der Chefetage eines Ölkonzerns. Ich habe schon andere,
moderne gesehen.«
»Und was macht man damit?«
»Man steckt sie sich in den Körper& und bittet die Frau, die
Kurbel zu drehen. Und dann bekommt man da drin einen
Schlag.«
»Könnte der Mann das nicht auch allein machen?«
»Beim Sex kann man alles auch allein machen. Aber mir ist
es lieber, die Leute machen solche Dinge weiterhin zu zweit,
sonst kann ich meinen Nachtclub dichtmachen, und du kannst
als Lebensmittelverkäuferin arbeiten gehen. Wo wir gerade von
Arbeit sprechen: Dein spezieller Freier hat sich angesagt; lehne
bitte jede andere Einladung ab.«
»Das werde ich. Auch seine. Ich bin nämlich da, um mich zu
verabschieden. Ich gehe.«
Milan stutzte, begriff nicht:
»Der Maler?«
»Nein. Das : Copacabana9 . Es gibt eine Grenze - und heute
morgen habe ich diese Grenze erkannt, als ich unten am See auf
die Blumenuhr geschaut habe.«
»Und wo liegt diese Grenze?«
»Beim Preis für eine Farm zu Hause in Brasilien. Ich weiß,
ich könnte noch mehr verdienen, noch ein Jahr arbeiten, aber
was für einen Unterschied macht das schon?
Der Unterschied ist: Ich würde ewig weiter in dieser Falle
stecken, genau wie du, und das sind die Freier, die Direktoren,
die Piloten, Headhunter, Manager von Plattenfirmen,
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Discobetreiber, die vielen Männer, die ich kennengelernt habe,
denen ich meine Zeit verkauft habe, die sie mir nicht
zurückverkaufen können. Wenn ich einen Tag länger bleibe,
bleibe ich ein ganzes Jahr, und wenn ich noch ein Jahr bleibe,
komme ich hier nie wieder heraus.«
Milan nickte verstohlen zum Zeichen, daß er begriffen hatte.
Er konnte jetzt nichts sagen, denn wenn die anderen Mädchen
von Marias Entscheidung erfuhren, ließen sie sich womöglich
anstecken. Aber er war ein guter Mensch. Er gab ihr zwar nicht
direkt seinen Segen, unternahm aber auch nichts, um sie
umzustimmen.
Sie bestellte einen Drink - ein Glas Champagner -, sie hatte
genug von den ewigen Fruchtcocktails und konnte trinken, was
sie wollte, sie war schließlich nicht mehr im Dienst. Milan sagte,
sie könne ihn jederzeit anrufen, wenn sie etwas brauche; sie sei
immer willkommen. Und übrigens: Der Champagner gehe aufs
Haus. Maria nahm die Einladung an: sie hatte dem Haus mehr
als einen Drink eingebracht.
Aus Marias Tagebuch, nachdem sie wieder zu Hause war:
Ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber kürzlich bin ich an
einem Sonntag in die Kirche gegangen. Ich wollte zur Messe.
Nach einer Weile bemerkte ich, daß ich in der falschen Kirche
saß - es war eine protestantische Kirche.
Ich wollte gerade gehen, als der Pfarrer mit seiner Predigt
begann, und weil ich nicht unhöflich sein und einfach
davongehen wollte, blieb ich sitzen. Letztlich war es ein Segen,
weil ich an diesem Tag Dinge zu hören bekam, die ich dringend
nötig hatte.
Der Pfarrer sagte in etwa:
»Alle Sprachen der Welt kennen dieses Sprichwort: : Aus den
Augen, aus dem Sinn.9 Nichts ist weniger wahr: Je weiter etwas
weg ist, desto größer ist die Sehnsucht, desto stärker die
Gefühle, die wir zu unterdrücken und zu vergessen versuchen.
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Leben wir im Exil, klammern wir uns mit jeder Faser unseres
Gedächtnisses an unsere heimatlichen Wurzeln. Leben wir fern
von unserer oder unserem Geliebten, erinnert uns jeder, der auf
der Straße an uns vorbeigeht, an sie beziehungsweise ihn.
Viele Bücher der Bibel und auch heilige Texte anderer
Religionen wurden im Exil geschrieben, als eine Form von
Suche nach Gott, nach dem Glauben, der die Völker vorantreibt,
als eine Art Wallfahrt der auf Erden umherirrenden Seelen.
Unsere Vorfahren wußten ebensowenig wie wir, was die
Gottheit von uns im Leben erwartet, und aus diesem Nichtwissen
heraus werden die Bücher geschrieben, die Bilder gemalt, weil
wir nicht vergessen wollen und sollen, wer wir sind.«
Am Ende des Gottesdienstes bin ich zum Pfarrer gegangen
und habe mich bedankt. Ich habe ihm gesagt, ich sei
Ausländerin und sei ihm dankbar, daß er mich daran erinnert
habe, daß das, was wir nicht sehen, doch dem Herzen nah
bleibt. Und weil ich mein Herz spüre, gehe ich heute.
Sie nahm die beiden Koffer und legte sie aufs Bett. Anfangs
hatte sie sich ausgemalt, wie viele Geschenke sie hineinpacken
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